Rednerische Erfahrungen <span class="pagenumber">[108]</span>

31 In Wirklichkeit fand der weit überwiegende Teil der NSDAP-Versammlungen der Jahre 1919/20 vor einem Publikum statt, das den Vorträgen in aller Regel begeistert folgte. Gelegentliche kritische Wortmeldungen wurden bereits vom Publikum durch Lärm und Zwischenrufe unterbrochen oder ganz unterbunden, sodass die jeweilige Versammlungsleitung – mitunter sogar Hitler selbst – Mühe hatte, die Ruhe wiederherzustellen. Nach einem Höhepunkt im Sommer 1920 ging die Anzahl solcher Zwischenfälle jedoch seit September 1920 zurück. Es war auch keineswegs immer Hitler selbst, der sich mit ihnen auseinandersetzte. So meldete sich etwa bei der Versammlung am 20. 9. 1920 im Kindl-Keller, bei der Hitler über »Macht oder Recht« sprach, ein Kommunist zu Wort, der allerdings nicht nur gegen die NSDAP auftrat, sondern Hitlers Attacken gegen die Sozialdemokratie durchaus unterstützte, wie es im Polizeibericht hieß: Er »schimpft weidlich über die sozialistischen Führer, nennt diese ›Geschäftssozialisten, Verbrecher etc.‹« Diese und eine weitere kritische Wortmeldung provozierten nicht weniger als fünf Gegenreden von Anhängern und Sympathisanten der NSDAP, unter anderem von Anton Drexler.

Vgl. StA München, Pol. Dir. 6698: Versammlungsbericht; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 146; Anm. 41 in diesem Kapitel; Kap. II/7, Anm. 19.

33 Bei den gegnerischen Wortmeldungen ist keine einheitliche Linie zu erkennen – vielmehr gab es sogar immer wieder Zustimmung zu einzelnen Ausführungen Hitlers oder anderer Redner der NSDAP. Richtig ist allerdings, dass die USPD sich um eine Schulung ihrer Redner und Propagandisten bemühte. In »Rednerzirkeln« und bei »Rednerabenden«, die ab Oktober 1919 stattfanden und zu denen jede Sektion »einige der intellektuellen Mitglieder« entsandte, wurden sowohl Grundsatzthemen wie auch tagespolitische Fragen behandelt. Im Dezember 1919 soll der »Rednerzirkel«, der von Carl Kröpelin betreut wurde, zwischen 100 und 150 Mitglieder umfasst haben. Ein Schreiben der »Agitationskommission« der USPD vom 24. 12. 1919 forderte: »Gegnerische Versammlungen sind mit Referenten zu beschicken, die sich nach Möglichkeit an den Diskussionen beteiligen.« Als Gegner wurden aber vor allem die KPD und die SPD angesehen, wie ein ergänzender Bericht vom 15. 1. 1920 festhielt. Wie effektiv diese Schulungen waren, ist jedoch unklar. Die Schulungsvorträge wurden von Teilnehmern teilweise scharf kritisiert, weil sie zu theoretisch wären und »die notwendigen praktischen Ausführungen« fehlen würden. Es ist anzunehmen, dass Hitler von den Kursen wusste, da verschiedene Agentenberichte darüber über den Tisch der Nachrichten- und Propagandaabteilung des Reichswehrgruppenkommandos in München gingen, mit dem er noch in Kontakt stand. Auch war Georg Dufter, der 1918/19 gemeinsam mit Hitler zum Ersatzbataillon des 2. Infanterie-Regiments gehörte, in den Rednerzirkeln aktiv.

Vgl. BayHStA, Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, 428: USPD-Versammlungsberichte; BayHStA, Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, 390, 414, 415: USPD-Rednerschulung; Plöckinger, Soldaten, S. 97, 113 – 153; Kap. II/7, Anm. 19.

34 Tatsächlich nahm Hitler seit Ende 1920 in seinen Reden zunehmend mögliche Einwände von Gegnern vorweg und besprach sie. Am 8. 12. 1920 schrieb der Völkische Beobachter über den Schluss einer Rede Hitlers: »Nachdem H[itler] noch die so oft gehörten Einwände gegen die völkische Bewegung in seiner bekannt schlagenden, überzeugenden Weise glänzend widerlegt hatte, endete er mit der Hauptforderung seiner Partei: Hinaus mit den Juden!« Ähnlich ging Hitler gelegentlich auch in seinen Artikeln vor. Allerdings war die Anwendung solcher rhetorischer Mittel keine Besonderheit Hitlers, sondern entsprach Empfehlungen, wie sie sich schon in zeitgenössischen Rede-Ratgebern fanden – immer verbunden mit der Forderung, die »Ziele und Beweggründe unserer Gegner zutreffend darzustellen.«

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 173, 222, 255, 273, 391, 554, Zitat S. 276 f.; Damaschke, Redekunst, Zitat S. 86; Lienert, Redner, S. 44 – 49.

lichen Auftretens, erfahren. Wir haben wahrlich nicht um die »Gunst der Massen gebuhlt«, sondern sind dem Wahnsinn dieses Volkes entgegengetreten, überall. Fast immer war es so, daß ich in diesen Jahren vor eine Versammlung von Menschen trat, die an das Gegenteilige von dem glaubten, was ich sagen wollte, und das Gegenteil von dem wollten, was ich glaubte. Dann war es die Aufgabe von zwei Stunden, zwei- bis dreitausend Menschen aus ihrer bisherigen Überzeugung herauszuheben, Schlag um Schlag das Fundament ihrer bisherigen Einsichten zu zertrümmern und sie schließlich hinüberzuleiten auf den Boden unserer Überzeugung und unserer Weltanschauung.31

Ich habe damals in kurzer Zeit etwas Wichtiges gelernt, nämlich dem Feinde die Waffe seiner Entgegnung gleich selber aus der Hand zu schlagen.32 Man merkte bald, daß unsere Gegner, besonders in Gestalt ihrer Diskussionsredner, mit einem ganz bestimmten »Repertoire« auftraten, in welchem immer wiederkehrende Einwände gegen unsere Behauptungen erhoben wurden, so daß die Gleichartigkeit dieses Vorgangs auf eine zielbewußte einheitliche Schulung hinwies. Und so war es ja auch.33 Wir konnten hier die unglaubliche Diszipliniertheit der Propaganda unserer Gegner kennenlernen, und es ist heute noch mein Stolz, das Mittel gefunden zu haben, diese Propaganda nicht nur unwirksam zu machen, sondern ihre Macher endlich selbst damit zu schlagen. Zwei Jahre später war ich Herr in dieser Kunst.

Es war wichtig, sich in jeder einzelnen Rede vorher schon klar zu werden#1937: klar zu werden ersetzt durch: klarzuwerden;
1939: klar zu werden über den vermutlichen Inhalt und die Form der in der Diskussion zu erwartenden Gegeneinwände und diese dann in der eigenen Rede bereits restlos zu zerpflücken. Es war dabei zweckmäßig, die möglichen Einwände selbst immer sofort anzuführen und ihre Haltlosigkeit zu beweisen; so wurde der Zuhörer, der, wenn auch vollgepropft#1933: vollgepropft ersetzt durch: vollgepfropft mit den ihm angelernten Einwänden, aber sonst ehrlichen Herzens gekommen war, durch die vorweggenommene Erledigung der in seinem Gedächtnis eingeprägten Bedenken leichter gewonnen. Das ihm eingelernte Zeug wurde von selbst widerlegt und seine Aufmerksamkeit immer mehr vom Vortrag angezogen.34