Keine Sentimentalität in der Außenpolitik <span class="pagenumber">[315]</span>

54 Hitlers außenpolitische Überlegungen blieben schon in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre nicht mehr allein auf Europa beschränkt. Bald begann er, besonders die USA in seine Betrachtungen miteinzubeziehen, die in Mein Kampf als außenpolitischer Faktor noch keine Rolle spielen. Den Kampf um die Herrschaft über Kontinentaleuropa sah Hitler schließlich nur noch als erste Etappe seiner außenpolitischen Zielvorstellungen. In einer zweiten Etappe sollte die deutsche Weltmachtstellung durch Kolonialbesitz in Afrika, ozeanische Stützpunkte und eine starke Flotte so weit ausgebaut werden, dass Deutschland für die spätere Auseinandersetzung mit den USA gerüstet sei. Hitlers außenpolitischer »Stufenplan« stellte allerdings »kein in den Einzelheiten exakt vorgeschriebenes Programm [dar], wohl aber die große Leitlinie« seiner Gesamtpolitik.

Vgl. Kuhn, Programm, S. 114, 124; Hillgruber, Weltpolitik, S. 152 f., 197 – 203, Zitat S. 153; Hildebrand, Außenpolitik, S. 27 f.; Kap. II/15, Anm. 42.

55 Schon in ihrem »25-Punkte-Programm« von 24. 2. 1920 forderte die NSDAP »Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und die Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses.« Diese Forderung blieb allerdings vage, wie auch der Kommentar Alfred Rosenbergs zum Parteiprogramm verdeutlicht: »Dabei ist es unter gegenwärtigen Umständen weniger drängend, die betreffenden europäischen oder außereuropäischen Gebiete, die für Kolonisation in Betracht kommen müßten, näher zu bezeichnen. Die weltpolitischen Möglichkeiten von heute können sich in einiger Zeit ändern.« Als Kolonialraum betrachtete Hitler stets primär Osteuropa. Die überseeischen Besitzungen, die Deutschland im Ersten Weltkrieg verloren hatte oder ein neues, mittelafrikanisches Kolonialreich, von dem einige Nationalsozialisten träumten, spielten für ihn auch in den 1930er- und 1940er Jahren bestenfalls eine untergeordnete Rolle, etwa als diplomatisches Druckmittel, um von Großbritannien Zugeständnisse in Europa zu erlangen, oder als mögliches Ansiedlungsgebiet für die Juden, wie etwa beim »Madagaskar-Plan«. Doch dachte Hitler niemals daran, zugunsten des Erwerbs überseeischer Kolonien auf den Eroberungskrieg im Osten Europas zu verzichten. Infrage wären überseeische Kolonien lediglich als Fernziel gekommen, und zwar nach der Konsolidierung der europäischen Machtbasis und bei einer späteren Auseinandersetzung um die Welthegemonie.

Vgl. Rosenberg, Wesen, Zitat S. 16 f.; Mommsen (Hrsg.), Parteiprogramme, Zitat S. 548; Hildebrand, Weltreich, Zitat S. 774; Dülffer, Kolonialismus; Brechtken, Madagaskar, S. 221 – 283; Linne, Deutschland.

56 Gregor Straßer, damals Gauleiter der NSDAP von Niederbayern-Oberpfalz, hatte im Völkischen Beobachter vom 12./13. 7. 1925, in einem Leitartikel mit der Überschrift »Für einen Bund der unterdrückten Völker!«, einen »Völkerbund der Entrechteten« unter deutscher Führung gefordert. Auch in Reden kam er darauf zu sprechen, beispielsweise am 17. 7. 1925. Das »zerrissene, gemarterte, ausgesogene, versklavte Deutschland des Versailler Friedens«, so Straßer, sei »der naturgegebene Vorkämpfer und Verbündete aller nationalen Befreiungskämpfe von der Angora-Türkei angefangen über Indien und Persien hinweg, für China ebenso wie für Marokko – wo immer unterdrückte Völker, ausgebeutete, versklavte Nationen, gegen französische Gewaltherrschaft, gegen englischen Imperialismus, gegen amerikanische Finanzausbeutung sich empören«. Mit der »Angora-Türkei« war die am 29. 10. 1923 ausgerufene Republik Türkei gemeint, deren Hauptstadt Ankara damals noch Angora hieß. Für einen »Völkerbund der Entrechteten« trat auch Ernst Graf zu Reventlow, seinerzeit noch Mitglied der DVFP, ein. Reventlow sprach am 12. 1. 1926 auf der Versammlung eines Kuratoriums der unterdrückten Völker im Kriegervereinshaus in Berlin, bei der auch Vertreter Ägyptens, Chinas, Indiens, der Türkei und anderer Länder zu Wort kamen. »Deutschlands Platz«, so Reventlow, »sei naturnotwendig auf Seiten der Unterdrückten«. In Gregor Straßers Entwurf für ein neues Parteiprogramm der NSDAP vom 25. 1. 1926 findet sich der »Bund der unterdrückten Völker« allerdings nicht mehr. Stattdessen forderte Straßer darin die »Vereinigte[n] Staaten von Europa als ein[en] europäische[n] Völkerbund mit einheitlichem Maß- und Münzsystem«.

Vgl. VB vom 16. 1. 1926, »Machtvolle Kundgebung der unterdrückten Völker« (Zitat); Straßer, Freiheit, S. 43 – 48, Zitat S. 46; Schüddekopf, Leute, S. 184; Kühnl, Programmatik, Zitat S. 324 f.

der Dulder. Und nur in dieser Kraft allein liegt dann das Recht. Wenn das deutsche Volk heute, auf unmöglicher Grundfläche zusammengepfercht, einer jämmerlichen Zukunft entgegengeht, so ist dies ebensowenig ein#1944: ein ersetzt durch: das Gebot des Schicksals, wie ein Auflehnen dagegen eine Brüskierung desselben darstellt. Genau so wenig wie#1937: so wenig wie ersetzt durch: sowenig, wie;
1944: so wenig wie etwa eine höhere Macht einem anderen Volke mehr Grund und Boden zugesprochen hat#1929: gestrichen: zugesprochen hat als dem deutschen#1929: eingefügt: zugesprochen hat oder durch die Tatsache dieser ungerechten Bodenverteilung beleidigt wird. So wie unsere Vorfahren den Boden, auf dem wir heute leben, nicht vom Himmel geschenkt erhielten, sondern durch Lebenseinsatz erkämpfen mußten, so wird auch uns in Zukunft den Boden und damit das Leben für unser Volk keine völkische#1944: völkische ersetzt durch: göttliche Gnade zuweisen, sondern nur die Gewalt eines siegreichen Schwertes.

So sehr wir heute auch alle die Notwendigkeit#1937: Notwendigkeit ersetzt durch: Notwendigkeiten;
1939: Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit Frankreich erkennen, so wirkungslos bliebe sie in der großen Linie, wenn sich in ihr unser außenpolitisches Ziel erschöpfen würde. Sie kann und wird nur Sinn erhalten, wenn sie die Rückendeckung bietet für eine Vergrößerung des Lebensraumes unseres Volkes in Europa.54 Denn nicht in einer kolonialen Erwerbung haben wir die Lösung dieser Frage zu erblicken55, sondern ausschließlich im Gewinn eines Siedlungsgebietes, das die Grundfläche des Mutterlandes selbst erhöht und dadurch nicht nur die neuen Siedler in innigster Gemeinschaft mit dem Stammland erhält, sondern der gesamten Raummenge jene Vorteile sichert, die in ihrer vereinten Größe liegen.

Die völkische Bewegung hat nicht der Anwalt anderer Völker56, sondern der Vorkämpfer des eigenen Volkes zu sein. Andernfalls ist sie überflüssig und hat vor allem gar kein Recht, über die Vergangenheit zu maulen. Denn dann handelt sie wie diese [sic!]. So wie die alte deutsche Politik zu Unrecht von dynastischen Gesichtspunkten bestimmt wurde, so wenig#1937: so wenig ersetzt durch: sowenig;
1939: so wenig darf die künftige von völkischen Allerweltsgefühlsduseleien geleitet werden. Insbesondere aber sind wir nicht der Schutzpolizist der bekannten »armen, kleinen Völker«, sondern Soldaten unseres eigenen.

Wir Nationalsozialisten haben aber#1929: aber ersetzt durch: jedoch noch weiter zu gehen: Das