Lieber keine nat.-soz. Gewerkschaft als eine Fehlgründung <span class="pagenumber">[260]</span>

47 Der Aufbau völkischer und nationalsozialistischer Gewerkschaftsstrukturen verlief 1922/23 nicht ganz so erfolglos, wie Hitler es darstellt. Er erregte zumindest Aufmerksamkeit und Unruhe. In einer Sitzung des Bundesausschusses des sozialdemokratisch ausgerichteten ADGB am 17./18. 4. 1923 wurde besorgt auf die Wahl nationalsozialistischer Betriebsräte auch außerhalb Bayerns hingewiesen. Im März 1923 ersuchte der Internationale Gewerkschaftsbund in Amsterdam den ADGB um Auskunft über das Ausmaß der Bedrohung, die von den Nationalsozialisten ausgehe. Auf Basis einer internen Umfrage berichtete der ADGB am 5. 5. 1923 nach Amsterdam, »daß, soweit die Betriebe der gewerkschaftlichen Beeinflussung unterliegen, sich die Arbeiterschaft ablehnend« verhalte. Die Presse habe die Gefahr übertrieben: »An der langjährigen Gewerkschaftsarbeit dürften die Machtgelüste der Nationalsozialisten scheitern.« Auch von kommunistischer Seite wurden die verschiedenen völkisch geprägten gewerkschaftlichen Organisationen 1923/24 aufmerksam beobachtet und, im Gegensatz zum ADGB, als ein Zeichen erfolgreichen Bemühens um die Arbeiterschaft gedeutet. Freilich beruhte ihre Einschätzung weniger auf praktischen Erfahrungen als auf ideologischen Überlegungen, denn im Dienst der Kapitalisten und begünstigt durch die »Katastrophenpolitik« der Sozialdemokratie würden »die völkischen Gewerkschaftsorganisationen eine äußerst große Gefahr für die Arbeiterbewegung darstellen«.

Vgl. Weber/ Schönhoven/ Tenfelde (Hrsg.), Quellen, Bd. 2, Dok. 83 f., Zitate S. 839 f.; Willi, Hakenkreuz, S. 58 – 62, Zitat S. 62; Potthoff, Gewerkschaften (1987), S. 204 f.; Ruck, Bollwerk, S. 64 – 73, 90 – 93; Plöckinger, Geschichte, S. 108 – 111.

Ganz abgelehnt habe ich damals alle Experimente, die schon von vornherein den Mißerfolg in sich trugen. Ich hätte es als ein Verbrechen angesehen, einem Arbeiter von seinem kärglichen Verdienst soundso viel#1933: soundso viel ersetzt durch: soundsoviel abzunehmen für eine Institution, von deren Nutzen für ihre Mitglieder ich nicht die innere Überzeugung besaß.

Wenn eine neue politische Partei eines Tages wieder verschwindet, so ist dies kaum jemals ein Schaden, sondern#1929: eingefügt: fast immer nur#1929: gestrichen: nur ein Nutzen, und es hat niemand irgendein#1930: irgendein ersetzt durch: irgend ein;
1933: irgendein Recht, darüber zu jammern; denn was der einzelne einer politischen Bewegung gibt, gibt er à fond perdu45. Wer aber in eine Gewerkschaft einbezahlt, hat ein Recht auf Erfüllung der ihm zugesicherten Gegenleistungen. Wird diesem nicht Rechnung getragen, dann sind die Macher einer solchen Gewerkschaft Betrüger, zumindest aber leichtfertige Menschen, die zur Verantwortung gezogen werden müssen.

Nach dieser Anschauung wurde im Jahre 1922 denn auch von uns gehandelt. Andere verstanden es scheinbar besser und gründeten Gewerkschaften.46 Sie warfen uns den Mangel einer solchen als das sichtbarste Zeichen unserer fehlerhaften und beschränkten Einsicht vor. Allein es dauerte nicht lange, bis diese Gründungen selbst wieder verschwanden47, so daß das Schlußergebnis dasselbe wie bei uns war. Nur mit dem einen Unterschied, daß wir weder uns selbst noch andere betrogen hatten.