Bundes- oder Einheitsstaat? <span class="pagenumber">[214]</span>

90 Die NSDAP hatte bereits unter Punkt 25 ihres »25-Punkte-Programms« vom 24. 2. 1920 gefordert: »Zur Durchführung alles dessen fordern wir die Schaffung einer starken Zentralgewalt des Reiches. Unbedingte Autorität des politischen Zentralparlaments über das gesamte Reich und seine Organisationen im allgemeinen.« Wie diese Forderung im bayerischen Umfeld der Partei wirkte, illustriert ein Bericht des Rosenheimer Tagblatts vom 23. 6. 1920: »Soweit Herr Hittler [sic!] sich und seiner Arbeiter-Partei einen föderalistischen Anstrich zu geben versuchte, wozu ihn wohl das Publikum mit der Abneigung gegen jede weitere Verpreußung veranlaßte, müssen wir leider sagen: Das ist kein Föderalismus! Ein Bayern ohne ›politisches Parlament‹, ohne politische Staatskompetenzen, wie Herr Hittler [sic!] es will, das ist kein Staat, kein Bundesstaat mehr, sondern nur noch eine macht-, recht- und wehrlose Provinz, eine Provinz unter dem ›politischen Zentralparlament mit unbedingter Autorität über das gesamte Reich und seine Organisationen im allgemeinen‹, wie die Arbeiter-Partei in Ziffer 25 ihres offiziellen Programms fordert. Für solchen ›Föderalismus‹ danken wir!«

Vgl. Mommsen (Hrsg.), Parteiprogramme, Zitat S. 550; Tyrell (Hrsg.), Führer, S. 23 – 26, Zitat S. 26; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 111, 188, 296, 505, 393.

91 Hitlers Definition entspricht der zeitgenössischen, nach wie vor gültigen Definition einer »Staatenverbindung, in der mehrere Staaten zu einer größeren staatl[ichen] Gemeinschaft zusammengefaßt werden, ohne die eigene Staatlichkeit einzubüßen«. Es handelt sich damit um Gebiete, auf denen »zwei Staatsgewalten neben einander bestehen«. Davon unterschieden wird die Allianz, die »Verbindung mehrerer Staaten zur Verfolgung einzelner wichtiger polit[ischer] Ziele«, die Personalunion, die Verbindung mehrerer Staaten unter der »tatsächlichen Gemeinschaft des Oberhauptes«, etwa eines Monarchen, und schließlich die Realunion, »die verfassungsmäßige Vereinigung mehrerer Staaten«. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Genese von Bundesstaaten, die entweder als Zusammenschluss mehrerer zuvor unabhängiger Einzelstaaten entstehen können, von vornherein als Bundesstaaten gegründet werden oder – wie etwa im Falle Belgiens – aus dem Zerfall eines (dezentralisierten) Einheitsstaats hervorgehen.

Vgl. Der Große Brockhaus (¹⁵1929), Bd. 3, Zitat S. 508. Zur zeitgenössischen Debatte vgl. Stützel, Handlungsfähigkeit; Wahl, Länder, Zitat S. 73.

93 Die Geschichte der USA und ihrer Bundesstaaten verlief ungleich komplexer. Laut Artikel IV, 3 der Verfassung der Vereinigten Staaten vom 17. 9. 1787 liegt die Entscheidung über die Aufnahme eines Staates in die Union beim Kongress. In der Geschichte der USA konnte dies sehr unterschiedlich verlaufen. Ein erster Versuch einer Regelung war die Northwest Ordinance, mit der die USA 1787 das Northwest Territory erwarben, die späteren Bundesstaaten Ohio, Indiana, Illinois, Michigan, Wisconsin und Teile von Minnesota. Die Siedlungsdichte wurde damals als Voraussetzung der Staatenbildung definiert: Der Aufbau einer rudimentären Verfassung war ab 5.000, der Antrag auf Aufnahme in die Union ab 60.000 weißen Einwohnern möglich. Doch war es nicht nur die Ausbreitung weißer Siedler auf dem amerikanischen Kontinent, welche die Expansion der USA vorbereitete. Diese Expansion war auch eine Folge auseinanderbrechender Kolonialreiche, von vertraglich geregelten Erwerbungen und militärischen Eroberungen. Durch den Louisiana Purchase, den Kauf der französisch-spanischen Kolonie Louisiana, konnten die USA bereits 1803 ihr Territorium verdoppeln. Auch Florida (1819/1845) und Alaska (1867/1959) wurden durch Kauf erworben. Die Aufnahme von Texas (1835 – 1845/48) und New Mexico (1848/1912) war das Ergebnis militärischer Auseinandersetzungen, während Staaten wie Vermont (1791), Kentucky (1792), Tennessee (1796), Maine (1820) und West Virginia (1863) durch die Aufspaltung von bereits bestehenden Staaten entstanden. Es kann also keine Rede davon sein, dass die Union die Bundesstaaten systematisch »gestaltet« habe. Vielmehr waren es ganz unterschiedliche Gründe, die das Wachstum der USA beeinflussten, wobei sich – und das erscheint als das eigentlich Charakteristische – gewöhnlich regionale und überregionale Impulse ergänzten.

Vgl. Onuf, Föderalismus, S. 54 – 78; Duffey, Ordinance, S. 929 – 996; McCarty/ Poole/ Rosenthal, Congress; Joy, Expansionism; Stein, States; Adams, USA, S. 6 – 8, 53 – 56.

nur wünschen: Herr, bewahre sie vor solchen Freunden, auch sie wird mit ihren Feinden dann schon fertig werden.88

* * *

Der im Jahre 1919/20, 1921#1929: im Jahre 1919/20, 1921 ersetzt durch: in den Jahren 1919/20/21 und weiterhin von den Juden in so schlauer Weise propagierte Kampf zwischen Föderalismus und Unitarismus89 zwang, bei aller Ablehnung desselben, doch auch die nationalsozialistische Bewegung, zu seinen wesentlichen#1930: wesentlichen ersetzt durch: wesentlichsten;
1933: wesentlichen Problemen Stellung zu nehmen.90

Soll Deutschland Bundes- oder Einheitsstaat sein und was hat man praktisch unter beiden zu verstehen?

Mir scheint die wichtigere Frage die zweite zu sein, weil sie nicht nur zum Verständnis des ganzen Problems grundlegend ist, sondern auch weil sie klärenden#1944: klärenden ersetzt durch: klärend ist und versöhnenden Charakter besitzt.

Was ist ein Bundesstaat?

Unter Bundesstaat verstehen wir einen Verband von souveränen Staaten, die aus freiem Willen kraft ihrer Souveränität sich zusammenschließen und dabei jenen Teil der Hoheitsrechte im einzelnen an die Gesamtheit abtreten, der die Existenz des gemeinsamen Bundes ermöglicht und gewährleistet.91

Diese theoretische Formulierung trifft in der Praxis bei keinem der heute auf Erden bestehenden Bundesstaaten restlos zu. Am wenigsten bei der amerikanischen Union, in welcher beim weitaus größten Teil der Einzelstaaten von irgendeiner ursprünglichen Souveränität überhaupt nicht geredet werden kann, sondern viele derselben erst im Laufe der Zeit gewissermaßen hineingezeichnet wurden in die Gesamtfläche des Bundes. Daher handelt es sich bei den Einzelstaaten der amerikanischen Union auch in den meisten Fällen mehr um kleinere und größere, aus verwaltungstechnischen Gründen gebildete, vielfach mit dem Lineal abgegrenzte Territorien, die vordem eigene staatliche Souveränität nicht besessen hatten und auch gar nicht besitzen konnten.92 Denn nicht diese Staaten hatten die Union gebildet, sondern die Union gestaltete erst einen großen Teil solcher sogenannter#1937: sogenannter ersetzt durch: sogenannten;
1944: sogenannter Staaten.93 Die dabei den einzelnen Territorien über-