Bedeutung des Gemeinschaftsgefühls <span class="pagenumber">[121]</span>

99 Mit »Massensuggestion« bedient Hitler einen zeitgenössischen Modebegriff, der sich in Deutschland seit der Jahrhundertwende zunehmender Beliebtheit erfreute. Der Begriff selbst stammt aus dem damals sehr populären Forschungsfeld der Massenpsychologie, das vor allem durch Gustave Le Bons Schrift Psychologie des foules (1895) angestoßen worden war. Im Gegensatz zu Hitler verwendete Le Bon die Begriffe »Suggestion« und »suggestiv« allerdings mit spürbarem Unbehagen und deutlicher Kritik. So wird das »einer psychologischen Masse angehörende Individuum« in der deutschen Ausgabe seiner Schrift wie folgt beschrieben: »Es ist sich seiner Handlungen nicht mehr bewußt. Wie beim Hypnotisierten können bei ihm, während zugleich gewisse Fähigkeiten aufgehoben sind, andere auf einen Grad höchster Stärke gebracht werden. Unter dem Einflusse einer Suggestion wird es sich mit einem unwiderstehlichen Triebe an die Ausführung bestimmter Handlungen machen.« Als die »Hauptmerkmale« eines solchen »Individuums« galten Le Bon: »Schwund der bewußten Persönlichkeit, Vorherrschaft der unbewußten Persönlichkeit, Orientierung der Gefühle und Gedanken in derselben Richtung durch Suggestion und Ansteckung, Tendenz zur unverzüglichen Verwirklichung der suggerierten Ideen. Das Individuum ist nicht mehr es selbst; es ist ein willenloser Automat geworden.«

Das große öffentliche Interesse an den Wirkungen von Propaganda und Reklame nach 1918 sorgte dafür, dass das Thema »Massensuggestion« weiterhin präsent blieb, nicht zuletzt in der Wissenschaft. Als »gerade heute […] besonders bedeutsam« bezeichnete im Februar 1919 der in Halle lehrende Psychologe und Neurologe Theodor Ziehen die »Frage der Massensuggestion«, ohne sich in seiner Wertung jedoch eindeutig zu positionieren: Einerseits kämen »moralisch verkommene, psychopathische Individuen« in den »von der Suggestion befallenen Massen« gehäuft vor, auch seien ihre Führer »oft tiefstehende Individuen«; andererseits habe die Massensuggestion »oft im Sinne des Fortschrittes gewirkt« und »manche Hindernisse« überwunden, die »das nüchterne Denken kaum in Jahrhunderten oder Jahrtausenden beseitigt« hätte. Somit komme ihr eine gewisse historische »Kulturbedeutung« zu. Der Berliner Honorarprofessor für Physik Ernst Gehrcke vertrat 1924 wiederum die These, das damals enorme öffentliche Interesse an Albert Einsteins Relativitätstheorie könne nur durch eine werbe- und presseinduzierte »Massensuggestion« erklärt werden.

Vgl. Le Bon, Psychologie, Zitate S. 15 f.; Gudden, Massensuggestion; Ziehen, Wesen, Zitat S. 106 f. (Herv. i. Orig.); Gehrke, Massensuggestion; Bussemer, Propaganda, S. 102 – 153; Wazeck, Gegner, bes.S. 272 – 280.

wegung vereinsamt fühlt und leicht der Angst verfällt, allein zu sein, zum erstenmal das Bild einer größeren Gemeinschaft erhält, was bei den meisten Menschen kräftigend und ermutigend wirkt. Der gleiche Mann würde#1944: würde ersetzt durch: wird im Rahmen einer Kompagnie#1937: Kompagnie ersetzt durch: Kompanie;
1939: Kompagnie;
1944: Kompanie oder eines Bataillons, umgeben von allen seinen Kameraden, leichteren Herzens zum Sturm antreten, als er dies, ganz auf sich allein angewiesen, täte. Im Rudel fühlt er sich immer noch etwas geborgen und wenn auch in der Wirklichkeit tausend Gründe dagegen sprächen.

Die Gemeinsamkeit der großen Kundgebung aber stärkt nicht nur den einzelnen, sondern sie verbindet auch und hilft mit[,] Korpsgeist zu erzeugen. Der Mann, der als erster Vertreter einer neuen Lehre in seinem Unternehmen oder in seiner Werkstätte schweren Bedrängnissen ausgesetzt ist, bedarf notwendig jener Stärkung, die in der Überzeugung liegt, ein Glied und Kämpfer einer großen umfassenden Körperschaft zu sein. Den Eindruck dieser Körperschaft erhält er jedoch erstmalig nur in der gemeinsamen Massenkundgebung. Wenn er aus seiner kleinen Arbeitsstätte oder aus dem großen Betrieb, in dem er sich erst#1933: gestrichen: erst recht klein fühlt, zum ersten Male in die Massenversammlung hineintritt und nun Tausende und Tausende von Menschen gleicher Gesinnung um sich hat, wenn er als Suchender in die gewaltige Wirkung des suggestiven Rausches und der Begeisterung von drei- bis viertausend anderen mitgerissen wird, wenn der sichtbare Erfolg und die Zustimmung von Tausenden ihm die Richtigkeit der neuen Lehre bestätigen und zum erstenmal den Zweifel an der Wahrheit seiner bisherigen Überzeugung erwecken, – dann unterliegt er selbst dem zauberhaften Einfluß dessen, was wir mit dem Wort Massensuggestion bezeichnen.99 Das Wollen, die Sehnsucht, aber auch die Kraft von Tausenden akkumuliert sich in jedem einzelnen. Der Mann, der zweifelnd und schwankend eine solche Versammlung betritt, verläßt sie innerlich gefestigt: er ist zum Glied einer Gemeinschaft geworden.

Die nationalsozialistische Bewegung darf das nie vergessen und sie darf sich insbesondere nie von jenen bürgerlichen Gimpeln beeinflussen lassen, die alles besser wissen, aber nichtsdestoweniger einen