Parteien suchen Kompromisse <span class="pagenumber">[94]</span>

14 Eine gewisse Bewunderung Hitlers für die in seinen Augen einzig auf einem rigorosen Alleingültigkeitsanspruch basierende Dauerhaftigkeit und Durchsetzungsfähigkeit des Christentums ist schon in früheren Texten nachweisbar. Am 26. 4. 1922 hob Hitler in einem Rundschreiben die »unerhörte Kraft« des Christentums hervor, die »ausschließlich« auf dem »Ablehnen jedes Kompromisses« und jeder »Verbindung mit sogenannten ähnlichen Ideen« beruhe. Diese Bewunderung ist freilich nicht mit Sympathie zu verwechseln. Hitlers Ablehnung des Christentums als konkurrierende Weltanschauung ist vielfach belegt und bereits in dem Plädoyer für eine eigene »infernalische Unduldsamkeit« der NS-Ideologie angelegt.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 381, Zitat S. 636; Kap. II/1, Anm. 27.

15 Anlehnung an das auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) formulierte Dogma der auf »göttliche[m] Beistand« beruhenden päpstlichen »Unfehlbarkeit« bei allen »Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren«. Spätestens nach Veröffentlichung von Mein Kampf nahm Hitler für sich in allen politischen Fragen gleichfalls »Unfehlbarkeit in Anspruch«, wie er etwa am 18. 7. 1928 in einem Brief an Artur Dinter hervorhob. Im Dritten Reich gehörten die Suggerierung der eigenen Sendung und Unfehlbarkeit sowie der zunehmende Bezug auf das vage metaphysische Konstrukt der »Vorsehung« zum Standardrepertoire in Hitlers Reden und in der NS-Propaganda.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. III/1, Dok. 4, Zitat S. 23; Schmaus, Dogmatik, Bd. 3. 1, S. 808; Kershaw, Hitler-Mythos, S. 70 f.; Schatz, Vatikanum.

17 Vermutlich eine Anspielung auf die DNVP, die sich – trotz ihrer grundsätzlichen Aversion gegen die republikanische Staatsordnung – nach der Reichstagswahl vom 7. 12. 1924 in Zusammenarbeit mit DVP, BVP und Zentrumspartei an zwei Reichsregierungen beteiligte. Die Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung war für die DNVP nicht nur eine innere Zerreißprobe, sie stieß im rechten Lager generell auf Unverständnis und massive Kritik – ein Umstand, der sich auch im Ergebnis der Reichstagswahl vom 20. 5. 1928 niederschlug. Damals sank der Stimmenanteil der DNVP von 20,5 auf 14,2 %. Die Partei reagierte darauf mit einem deutlichen Rechtsruck. Am 20. 10. 1928 wurde Alfred Hugenberg, Exponent des radikalnationalistischen Parteiflügels und Befürworter eines kompromisslos ablehnenden Kurses gegen das Weimarer »System«, neuer Parteivorsitzender. Der Abwärtstrend der DNVP ließ sich damit jedoch nicht umkehren, im Gegenteil: Bei der Reichstagswahl vom 14. 9. 1930 halbierte sich ihr Stimmenanteil auf 7 %, während sich jener der NSDAP von 2,6 auf 18,3 % versiebenfachte.

Vgl. Mergel, Scheitern; Ohnezeit, Volkspartei, S. 285 – 448; Büttner, Weimar, S. 95 – 103, 802 f.

18 Interessanterweise hatte Hitler diese Passage in der Vorveröffentlichung des Kapitels im Nationalsozialistischen Jahrbuch 1927 noch ungleich schärfer formuliert. Der ursprüngliche Wortlaut gewährt einen noch tieferen Einblick in das aggressive, auf »Vernichtung« des Konkurrenten abzielende Freund-Feind-Denken Hitlers: »Weltanschauungen sind dagegen niemals bereit, mit einem zweiten zu teilen. Sie dürfen also das Bestehen eines Partners gar nicht dulden. Ihr Kampf wird dadurch nicht nur ein solcher zur Durchführung der eigenen Idee, als vielmehr zunächst zur Vernichtung der gegnerischen Ideenwelt sein. Sie sind damit nicht bereit, an einem bestehenden Zustand positiv mitzuarbeiten, sondern fühlen in sich die Verpflichtung, diesen Zustand mit allen Mitteln zu beseitigen bzw. seinen Einsturz vorzubereiten.«

Vgl. Nationalsozialistisches Jahrbuch 1927, S. 97 – 105, Zitat S. 99 f.

streiten können, daß die Welt seitdem von diesem Zwange bedrängt und beherrscht wird, und daß man Zwang nur wieder durch Zwang bricht und Terror nur mit Terror. Erst dann kann aufbauend ein neuer Zustand geschaffen werden.14

Politische Parteien sind zu Kompromissen geneigt, Weltanschauungen niemals. Politische Parteien rechnen selbst mit Gegenspielern, Weltanschauungen proklamieren ihre Unfehlbarkeit.15

Auch politische Parteien haben ursprünglich fast immer die Absicht, zu alleiniger despotischer Herrschaft zu kommen; ein kleiner Trieb zu einer Weltanschauung steckt fast immer in ihnen. Jedoch schon die Engigkeit ihres Programms raubt ihnen den Heroismus, den eine Weltanschauung fordert. Die Konzilianz ihres Wollens führt ihnen die kleinen und schwächlichen Geister zu, mit denen man keine Kreuzzüge zu führen imstande ist.16 So bleiben sie meist schon frühzeitig in ihrer eigenen erbärmlichen Kleinheit stecken. Damit geben sie aber den Kampf für eine Weltanschauung auf und versuchen, statt dessen durch sogenannte »positive Mitarbeit«#1933: »positive Mitarbeit« ersetzt durch: »positive« Mitarbeit möglichst eilig ein Plätzchen am Futtertrog bestehender Einrichtungen zu erobern und möglichst lange daran zu bleiben.17 Das ist dann#1929: gestrichen: dann ihr ganzes Streben. Und sollten sie je durch einen etwas brutal veranlagten konkurrierenden Kostgänger von dieser allgemeinen Futterkrippe weggedrängt werden, dann ist ihr Sinnen und Trachten nur darauf eingestellt, sich, sei es durch Gewalt oder List, in dem Rudel der Auch-Hungrigen wieder nach vorne zu bringen, um endlich, koste es auch ihre heiligste Überzeugung, sich an der geliebten Nährquelle laben zu können. Schakale der Politik!

Da eine Weltanschauung niemals bereit ist, mit einer zweiten zu teilen, so kann sie auch nicht bereit sein, an einem bestehenden Zustand, den sie verurteilt, mitzuarbeiten, sondern fühlt die Verpflichtung, diesen Zustand und die gesamte gegnerische Ideenwelt mit allen Mitteln zu bekämpfen, d. h. #1944: d. h. ersetzt durch: das heißt deren Einsturz vorzubereiten.18

Sowohl dieser rein zersetzende Kampf, der von allen anderen#1944: anderen ersetzt durch: andern sofort in seiner Gefahr erkannt wird und mithin auf gemeinsame Abwehr