3. Kapitel
Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit und Sonstiges

In den wenigen überlieferten Dokumenten zur Entstehung von Mein Kampf finden sich keine Hinweise auf dieses Kapitel. Dennoch lässt sich seine Entstehung anhand verschiedener inhaltlicher Bezüge zumindest teilweise datieren. Hitlers Angriffe auf führende völkische Politiker, seine intensive Beschäftigung mit dem Parlamentarismus und schließlich seine Hinweise auf die »Los-von-Rom«-Bewegung1 sind alles Themen, welche die Auseinandersetzungen um die Neugründung der NSDAP im Frühjahr 1925 beherrschten. Hitler wurde damals von norddeutschen Völkischen wiederholt vorgeworfen, er habe seinen »Frieden mit Rom« gemacht. Damit war nicht so sehr die katholische Kirche gemeint als vielmehr die katholische bayerische Landesregierung unter Heinrich Held. Hitler wiederum kritisierte die Völkischen als unfähige, wirklichkeitsfremde Politiker; seine Wiener Vorbilder Karl Lueger und Georg Schönerer, die er in diesem Kapitel ausführlich schildert, sind daher immer auch als positive Gegenentwürfe zu verstehen. 2

Ein weiteres zentrales Thema des Kapitels ist die Delegitimation des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn, der für Hitler im Zeitalter des Nationalismus jede Existenzberechtigung verloren hatte. Zugleich bot der Rekurs auf seine Zeit in Wien Hitler die Möglichkeit, bestimmte politische Probleme in einem anderen Kontext zu diskutieren. Dazu gehört unter anderem der Legalitätskurs der NSDAP3, den Hitler seit 1925 durchsetzte. Auch dies weist darauf hin, dass das Kapitel im Wesentlichen erst nach der Aufspaltung des Buchs in zwei Teile und damit im April 1925 entstanden und nachträglich eingefügt worden ist. 4 Im Gegensatz zu dem in der Haft verfassten Kapitel I/2, das sich ebenfalls mit seiner Zeit in Wien befasst, ist das vor­liegende Kapitel deutlich flüssiger geschrieben.

Teile davon wurden bereits wenige Wochen vor dem Erscheinen des ersten Bands im Völkischen Beobachter veröffentlicht. 5 Das Bayerische Innen­ministerium registrierte den Text aufmerksam und gab ihn dann zu den Akten über Hitlers Redeverbot. 6