1. Kapitel
Im Elternhaus

Dieses Kapitel, der am frühesten entstandene biografische Teil von Mein Kampf, sollte ursprünglich einen anderen Titel tragen: »Wie ich zur Politik kam (Aus froher Jugend und bitteren Tagen)« – so jedenfalls lautete ein Werbeflugblatt für Hitlers Buch vom Juni 1924. 1 Obwohl sich Hitler damals noch nicht zu einer umfassenden Autobiografie entschlossen hatte, schien ihm offenbar eine Schilderung seiner Kindheit und Jugend unabdingbar. 2 Das bestätigen auch die wenigen Manuskriptblätter vom Juni 1924, die sich zu den ersten vier Seiten dieses Kapitels erhalten haben. 3 Sie lassen erahnen, wie schwer sich Hitler zunächst mit dem Schreiben tat, wie er sich bemühte, die bloße Mitschrift des gesprochenen Worts in ein lesbares Manuskript zu verwandeln. 4 Gerade für den ersten Satz nahm er sich offensichtlich viel Zeit. Zunächst begann Hitler mit: »Es scheint mir eine glückliche Vorbedeutung zu haben, daß meine Wiege«; dann probierte er folgende Variante: »Als eine glückliche Vorbedeutung muß ich es heute empfinden, daß meine Wiege […] in Braunau stand.«5 Am Ende hieß es dann: »Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies.«

An etlichen anderen Stellen »feilte« Hitler wohl ähnlich lange, interessanterweise gerade dann, wenn es um seine Vorfahren ging. Dabei stilisierte er seine Abstammung aus einfachen Verhältnissen, der die schwierigen Jahre in Wien folgten, zu etwas durchaus Positivem. Dabei verrät das Manuskript, dass er die ursprüngliche Bemerkung, sein Vater sei der Sohn eines »armen kleinen Häuslers und Taglöhners« gewesen, schließlich auf die eines »armen, kleinen Häuslers« verkürzte. 6 Deutlich werden daran zwei Aspekte, die einander in gewisser Weise bedingen: zunächst einmal Hitlers Versuch, seine Herkunft zu verhüllen, seine eigenen knappen Angaben darauf zu reduzieren, was schon vor der Veröffentlichung von Mein Kampf bekannt war. 7 Gleichzeitig wird hier Hitlers rigoroser Stilisierungswille erkennbar, mit dem er an den alten Mythos anknüpft, demzufolge es die Niedrigsten seien, die am Ende erhöht werden: »Daß die Berufung an den Geringsten, Unansehnlichsten ergeht, ist ein altes, bewährtes Motiv der politischen Usurpation.«8