Vorwort

Mein Kampf ist eine erstrangige Quelle zur Geschichte Hitlers und des ­Nationalsozialismus. Diese wissenschaftliche Edition macht sie erstmals in kommentierter Form dem interessierten Publikum zugänglich. Sie geht auf Pläne zurück, die das Institut für Zeitgeschichte schon früher, unter seinem damaligen Direktor Horst Möller, verfolgte. Möglich wurde sie allerdings erst – siebzig Jahre nach Hitlers Tod  – nach dem Auslaufen des vom Freistaat Bayern gehaltenen Urheberrechts. Dieser Umstand hat in den vergangenen Jahren zu erheblichen öffentlichen Debatten geführt, die sich aus der Brisanz, die Text und Thema in sich tragen, zwangsläufig ergeben. Eines jedoch ist unbestritten: Es wäre wissenschaftlich, politisch und moralisch nicht zu verantworten, dieses rassistische Konvolut der Unmenschlichkeit gemeinfrei und kommentarlos vagabundieren zu lassen, ohne ihm eine kritische Referenzausgabe entgegenzustellen, die Text und Autor gewissermaßen in die Schranken weist. Eine solche Referenzausgabe legt das Institut für Zeitgeschichte nun hiermit in zwei Bänden vor. Eines ihrer leitenden Prinzipien ist es, dass in ihr praktisch keine Seite Hitler-Text zu haben ist, ohne dass damit auch der wissenschaftlich-kritische Kommentar zur Kenntnis genommen werden muss. Umgekehrt heißt das: Der Leser, der sich selbst mit Hitler auseinandersetzen möchte, wird in die Lage versetzt, dies mit dem nötigen kritischen Instrumentarium zu tun.

Eine solche Edition muss einige Anforderungen erfüllen, um ihrem Anspruch gerecht zu werden:

Vor allem muss sie auf dem bestmöglichen wissenschaftlichen Fundament beruhen. Es gilt, soweit möglich, Hitlers Quellen offenzulegen, und seinen Ideenhorizont – der ja tief in der deutschen völkischen Tradition verankert war – zu durchschreiten. Die in Mein Kampf enthaltene, horrend stilisierte Autobiografie muss dekonstruiert und die Funktion dieser Stilisierung erläutert werden. Von entscheidender Bedeutung ist es, die von Hitler gestreuten Falschinformationen und seine offenen Lügen zu ent­tarnen, vor allem aber auch jene zahllosen Halbwahrheiten kenntlich zu machen, die ihre verderbliche propagandistische Wirkung erzielten. Schließlich soll diese Edition auch darauf hinweisen, in welch vielfältiger Weise Hitlers Gedankenwelt die spätere Regimephase seit 1933 prägte. Keineswegs ist das NS-Regime – das wissen wir längst – allein mit Hitler erklärbar; aber ohne die Person Hitlers, wie sie in Mein Kampf zutage tritt, wäre das Regime in all seiner Monstrosität nicht vorstellbar.

Ferner soll unsere Edition erschwinglich sein, damit sie dem interessierten Publikum offensteht. Allein auf diese Weise kann sie den aufklärerischen Auftrag der Wissenschaft erfüllen und zugleich zur dringend erforderlichen Entmystifizierung dieser Grundschrift des Nationalsozialismus beitragen. Damit erledigt sich auch die Frage nach der Legitimität des Aufwands, den das hier vorgelegte Werk unverkennbar forderte. Denn in Deutschland ist es auch siebzig Jahre nach dem Kriegsende erforderlich, die fatalen Triebkräfte des Nationalsozialismus und seines tödlichen Rassismus wissenschaftlich zu erforschen, kritisch zu präsentieren und einer informierten Öffentlichkeit zur Diskussion zu überlassen. Das gilt erst recht für diese so wichtige Quelle der Geschichte des Nationalsozialismus, und das ist nicht zuletzt auch ein wissenschaftlicher und damit sehr spezifischer Dienst an der Würde der Opfer.

Wieweit diese Edition die genannten Ansprüche erfüllt, mag der kritische Leser beurteilen. In jedem Fall aber gilt es Dank abzustatten: Zuvörderst danken möchte ich Christian Hartmann, dem ebenso kundigen wie umsichtigen Projektleiter, der stets das Ganze im Auge und das »in Stein gemeißelte« Erscheinungsdatum im Hinterkopf hatte. Ebenso großer Dank gebührt den weiteren Herausgebern: Thomas Vordermayer, dem unermüdlichen Rechercheur und eminenten Kenner der völkischen Bewegung, ihrer Ideen und Milieus; Othmar Plöckinger, dem unerschöpflichen Quell des Wissens über die verästelte Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Buches Mein Kampf; Roman Töppel, dem unbestechlichen Analytiker der Hitlerschen »Weltanschauung«. Sie alle haben teilweise über mehr als drei Jahre hinweg ihre ganze Arbeitskraft dem wenig sympathischen Gegenstand gewidmet. Ebenso danke ich den vielen weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Helfern und Praktikanten des Projekts, die hier im Einzelnen nicht genannt werden können, aber am Ende des Buches vollständige Erwähnung finden.

Großer Dank gilt ferner Rudolf Paulus Gorbach, zum einen dafür, dass er mit seinem Team aus dem Wust von Text und Anmerkungen ein lesbares Buch gemacht hat, zum anderen aber auch dafür, dass er uns einen gangbaren Weg wies, die Schrift im Selbstverlag herauszugeben. Ganz persönlich danken möchte ich dem Stellvertretenden Direktor, Magnus Brechtken, und der Pressesprecherin des Instituts, Simone Paulmichl. Mit nie­mals erlahmenden Engagement erwogen sie die dem Projekt innewohnenden, schwierigen fachlichen, rechtlichen und öffentlichkeitssensiblen Fragen und führten die sich hieraus ergebenden Probleme einer Lösung zu. Christine Ginzkey als umsichtige Verwaltungsleiterin, Daniel Schlögl als bucherfahrener Leiter unserer Bibliothek und Annette Wöhrmann als unentbehrliche Managerin meines Sekretariats haben ebenfalls zum Gelingen des Vorhabens maßgeblich beigetragen.

Im Dezember 2014 wurde das Projekt einer internationalen Expertenrunde vorgestellt, deren Engagement und Ratschlag eine große Hilfe waren. Dankende Erwähnung verdienen auch die Gremien des Instituts, Stiftungsrat und Wissenschaftlicher Beirat mit seinem Vorsitzenden Joachim Scholtyseck, die zu keinem Zeitpunkt den geringsten Zweifel an ihrer nachdrücklichen Unterstützung des Projekts aufkommen ließen. Und last but not least sei auch der wissenschaftlichen »Community« und den zahllosen interessierten Journalistinnen und Journalisten im In- und Ausland gedankt, die in ihrer überwältigenden Mehrheit ihre fachliche Solidarität mit dem Projekt bekundeten, beziehungsweise stets sachlich über die Thematik berichteten. Dies alles lässt uns zuversichtlich sein, dass die Diskussion über die nun vorgelegte kritische Edition mit der gebotenen Seriosität stattfindet.

München, den 5. Oktober 2015

Andreas Wirsching

Direktor des Instituts für Zeitgeschichte

München–Berlin