Die Südtiroler Frage <span class="pagenumber">[284]</span>

124 Seit 1919 verfolgte Italien konsequent das Ziel einer »Italianisierung« des im Frieden von Saint-Germain erworbenen Südtirols: Die Gemeindeautonomie wurde schrittweise aufgehoben, politisch unliebsame Vereine aufgelöst sowie die deutsche Sprache in Verwaltung, Justiz und Schule zurückgedrängt. Hinzu kamen Verordnungen gegen die deutschsprachige Presse und gegen Geheimschulen, die von der Südtiroler Bevölkerung organisiert worden waren. Dagegen wurde nicht nur in Österreich scharf protestiert, auch deutsche Zeitungen und Zeitschriften attackierten Italiens Südtirolpolitik; die Süddeutschen Monatshefte widmeten ihr komplettes Oktoberheft 1925 dem Thema »Deutsch-Südtirol«. Die DNVP brachte am 11. 12. 1925 im Reichstag eine Interpellation wegen Südtirol ein. Hitlers Polemik gegen »vereinsmeierliche Umzüge« zielte im Besonderen auf die Proteste nationaler Verbände, etwa des Vereins für das Deutschtum im Ausland, aber auch des in Bayern populären Andreas-Hofer-Bunds. Zugleich wandte sich Hitler gegen eine außenpolitische Forderung des linken Flügels der NSDAP um Gregor Straßer, der in seinem Programmentwurf von 1925/26 die Vereinigung aller Deutschen in den Grenzen von 1914 verlangt hatte – unter Einbeziehung Österreichs und Südtirols. Hitler signalisierte indes seine Bereitschaft, zugunsten eines Bündnisses mit Italien auf Südtirol zu verzichten. Wie sehr aus seiner Sicht die »Südtirolfrage« das von ihm als notwendig erachtete Bündnis mit Italien gefährdete, erklärte er schon am 14. 11. 1922 auf einem Sprechabend der NSDAP. Nach einem Bericht der Münchener Post äußerte er: »Mit Italien, das seine nationale Wiedergeburt erlebt und eine große Zukunft hat, muß Deutschland zusammengehen. Dazu ist nötig ein klarer und bündiger Verzicht Deutschlands auf die Deutschen in Südtirol. Das Geschwätz über Südtirol, die leeren Proteste gegen die Faszisten schaden uns nur, da sie uns Italien entfremden.« Am 6. 5. 1929 verteidigte Hitler vor dem Amtsgericht München seine »Auf‌fassung, daß der Verzicht auf Elsass-Lothringen, auf die deutschen Gebiete in Polen, in der Tschechoslowakei wesentlich schwerer wiegt, als der Verzicht auf Südtirol. Die Haltung bringt Deutschland um die Möglichkeit, mit dem einzigen Staat in ein Bündnisverhältnis zu treten, dessen Interessen sich mit denen Frankreichs widerstreiten, und verhindert dadurch die Wiederherstellung der deutschen Souveränität.« Konkurrierende völkische Autoren, insbesondere Albrecht von Graefe, bezeichneten Hitlers Position bis in die 1930er Jahre als »Verrat«. Doch auch innerhalb der NSDAP stieß Hitlers Position auf starke Kritik. Der spätere Generalgouverneur im deutsch besetzten Polen, Hans Frank, trat im August 1926 sogar kurzfristig aus der Partei aus. Gottfried Feder schrieb 1927 in seinem Kommentar zum Parteiprogramm im Widerspruch zu Hitler: »Wir verzichten auf keinen Deutschen in Sudetendeutschland [sic!], in Südtirol, in Polen, in der Völkerbunds-Kolonie Österreich.« Schon in der Auflage von 1929 wurde »in Südtirol« jedoch durch »in Elsaß-Lothringen« ersetzt.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 422, Zitat S. 728; Feder, Programm (1927), Zitat S. 29 (Herv. i. Orig.); Feder, Programm (1929), Zitat S. 30; Hitler, Reden, Bd. III/2, Dok. 34, Zitat S. 240; Schildt, Arbeitsgemeinschaft, S. 130, 160; Steurer, Südtirol (1980), S. 59 – 63, 102, 109 f.; Stachura, Strasser (1983), S. 42; Corsini/ Lill, Südtirol, S. 146 f.; Weiß, Südtirol-Problem, S. 68, 77, 82 f.; Steurer, Südtirol (1993), S. 195 – 216; Steininger, Südtirol, S. 91 – 94, 139 – 144; Pircher, Hofer-Bund, S. 151 – 165; Steininger, Südtirolfrage, S. 203 – 205; Knigge, Italienbild; Plöckinger, Geschichte, S. 95, 102, 206 – 208; Anm. 108 in diesem Kapitel; Kap. II/15, Anm. 82.

125 Anspielung auf eine Reichstagsrede Gustav Stresemanns zur Südtirolfrage vom 9. 2. 1926. Nachdem Deutschland sein Gesuch um Aufnahme in den Völkerbund abgegeben hatte, reagierte Stresemann auf eine zuvor gehaltene, populistische Rede Benito Mussolinis. Dieser habe, so Stresemann, der deutschen Reichsregierung nicht nur vorgeworfen, eine Boykottbewegung gegen italienische Waren organisiert und die deutsche Öffentlichkeit gegen Italien »aufgepeitscht« zu haben, sondern bezichtigte sie zudem, »ihrerseits die Brennergrenze in Anspruch [zu] nehmen« und insgeheim »den Anschluß an Deutsch-Österreich« vorzubereiten – Maßnahmen, gegen die sich Italien zur Wehr setzen müsse. Stresemann wies Mussolinis Vorwürfe als »vollkommene[n] Unsinn« zurück und warf Italien seinerseits vor, das 1918/19 gegebene Versprechen, die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol zu schützen, durch seine vehemente Italianisierungspolitik gebrochen zu haben. Mussolinis Rede, so Stresemann, sei »in der ganzen Welt als eine Kriegserklärung […] entweder gegen Österreich oder gegen Österreich und Deutschland zugleich« aufgefasst worden und daher »mit dem Geiste des Völkerbundes schlechthin unvereinbar«. Wäre Deutschland bereits Mitglied des Völkerbunds, hätte es an diesen »das Ersuchen stellen müssen, zu diesen Drohreden Stellung zu nehmen«.

Vgl. Latour, Südtirol, S. 12 – 18; Corsini/ Lill, Südtirol, S. 145 – 155; Stresemann, Reden, Zitate S. 374 – 376; Kap. I/10, Anm. 79.

kämpfenden Front. Wer diese zerbrach, hatte#1929: hatte ersetzt durch: hat Südtirol verraten, genau so wie eben#1929: gestrichen: eben auch alle anderen deutschen Gebiete.

Wer aber heute glaubt, durch Proteste, Erklärungen, vereinsmeierliche Umzüge usw. die Südtiroler Frage124 lösen zu können, der ist entweder ein ganz besonderer Lump oder aber ein deutscher Spießbürger.

Darüber muß man sich doch wohl klar sein, daß die Wiedergewinnung der verlorenen Gebiete nicht durch feierliche Anrufungen des lieben Herrgotts erfolgt oder durch fromme Hoffnungen auf einen Völkerbund125, sondern nur durch Waffengewalt.

Es fragt sich also nur, wer bereit ist, mit Waffengewalt die Wiedergewinnung dieser verlorenen Gebiete zu ertrotzen.

Was meine Person betrifft, könnte ich hier bei gutem Gewissen versichern, daß ich soviel Mut noch aufbrächte,#1929: eingefügt: um an der Spitze eines zu bildenden parlamentarischen Sturmbataillons, bestehend aus Parlamentsschwätzern und sonstigen Parteiführern sowie verschiedenen Hofräten, an der siegreichen Eroberung Südtirols teilzunehmen. Weiß der Teufel, es sollte mich freuen, wenn einmal über den Häuptern einer derartig »flammenden« Protestkundgebung plötzlich ein paar Schrapnelle126 auseinandergingen. Ich glaube, wenn ein Fuchs in einen Hühnerstall einbräche, könnte das Gegacker kaum ärger sein und das In-Sicherheit-Bringen des einzelnen Federviehs nicht beschleunigter erfolgen als das Ausreißen einer solchen prachtvollen »Protestvereinigung«.

Aber das Niederträchtige#1944: Niederträchtige ersetzt durch: Niederträchtigste an der Sache ist ja, daß die Herren selber gar nicht glauben, auf diesem Wege irgend etwas erreichen zu können. Sie kennen die Unmöglichkeit wie#1929: wie ersetzt durch: und Harmlosigkeit ihres ganzen Getues persönlich am allerbesten. Allein, sie tun#1944: eingefügt: es eben so, weil es natürlich heute etwas leichter ist, für die Wiedergewinnung Südtirols zu schwätzen, als es einst war, für die#1929: die ersetzt durch: seine Erhaltung zu kämpfen. Jeder leistet eben seinen Teil; damals opferten wir unser Blut und heute wetzt diese Gesellschaft ihre Schnäbel.

Köstlich ist es dabei, noch besonders#1929: Köstlich ist es dabei, noch besonders ersetzt durch: Besonders köstlich ist es noch, dabei zu sehen, wie den Wiener