Die Front und das politische Parteipack <span class="pagenumber">[210]</span>

64 Die Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts und die Einführung eines allgemeinen, gleichen Wahlrechts war im Deutschen Kaiserreich eine zentrale politische Forderung der Sozialdemokratie. In seiner »Osterbotschaft« vom 7. 4. 1917 stellte Wilhelm II. zwar zum wiederholten Mal eine Wahlrechtsreform in Aussicht, die jedoch erst nach dem Krieg verwirklicht werden sollte. Die vagen Formulierungen des Kaisers trugen letztlich mehr zur Verschärfung als zur Lösung der schwelenden innenpolitischen Konflikte bei. Während der politischen Linken die Inhalte der »Osterbotschaft« nicht weit genug gingen, sahen Vertreter der politischen Rechten in ihr eine schwächliche Konzession gegenüber sozialdemokratischen Forderungen. Ludendorff warf Wilhelm II. in seinen Kriegserinnerungen vor, den Feinden Deutschlands in unverantwortlicher Weise seine »Angst vor der Revolution« nach russischem Vorbild offenbart zu haben.

Vgl. Deutsche Tageszeitung vom 10. 4. 1917, »Die Botschaft des Kaisers«; Ludendorff, Kriegserinnerungen, Zitat S. 356; Patemann, Kampf, bes.S. 58 – 79; Clark, Wilhelm II., S. 308 – 311; Nübel, Mobilisierung, S. 115 – 122; Nebelin, Ludendorff, S. 312 – 316.

66 Nationalisten und Völkische sahen dies ähnlich. Oberst Max Bauer schrieb im Juli 1918: »Die Wahlrechtsfrage spielt in Preußen tatsächlich eine verhältnismäßig geringe Rolle. Gleichwohl wird eifrig Propaganda getrieben und eine gewisse Verhetzung ist zweifellos erreicht. Es ist ein Unglück, dass diese Frage während des Krieges angeschnitten ist.« In dem Pamphlet Der Betrug am deutschen Volke (1919) des deutschvölkischen Publizisten Hans von Liebig, das in der NSDAP schon früh zur Lektüre empfohlen wurde, heißt es: »Schon während des Krieges haben alle Schichten des deutschen Volkes einen vollgültigen und unwiderleglichen Beweis ihrer Unreife geliefert, als sie mitten im schärfsten Ringen um Tod und Leben sich den Zankapfel des preußischen Wahlrechts zuwerfen ließen und sich um ihn herumbalgten.«

Vgl. Liebig, Betrug, Zitat S. 20; Deist (Bearb.), Militär, Bd. 2, Dok. 464, Zitat S. 1245; Ryback, Bücher, S. 86.

67 Die seit 1916 wachsende Hoffnung auf einen Verständigungsfrieden wurde von der deutschen Feldpresse scharf bekämpft: Man kenne den Krieg und schwärme nicht für ihn, aber die Feldgrauen müssten auslöffeln, was die Friedensmacher in der Heimat angerichtet hätten. Mit der Friedensresolution vom 19. 7. 1917, die auf Initiative Matthias Erzbergers von der Mehrheit der Reichstagsparteien (SPD, Zentrum und Fortschrittspartei) verabschiedet wurde, erreichte diese Propaganda ihren Höhepunkt. Bemerkenswerterweise erwähnt Hitler an dieser Stelle nicht die Friedensnote Wilhelms II. vom 12. 12. 1916. Anders hingegen Anton Drexler, der sich intensiv mit diesem Punkt beschäftigte. Nach Drexlers Selbstdarstellung führte die Friedensresolution zu seiner »politische[n] Geburt«, die schließlich in die Gründung der DAP mündete.

Vgl. Drexler, Erwachen, Zitat S. 11; Wrisberg, Weg, S. 67; Lipp, Meinungslenkung, S. 223. 

68 Das Wort »Gelichter« diente bereits im Mittelalter als Begriff für »Sippe«, »Schlag«, »Art« und »Geschwister«. Seine ursprünglich positive Konnotation wandelte sich während des 17./18. Jahrhunderts zu einer negativen Wortbedeutung im Sinn von »Gesindel«. In Richard Wagners Oper Das Rheingold, die Hitler gut kannte, beschimpft der Nibelung Alberich die Rheintöchter, die sich seinen Annäherungsversuchen entziehen und über ihn lustig machen: »Ihr schmählich schlaues, liederlich schlechtes Gelichter! Nährt ihr nur Trug, ihr treuloses Nickergezücht?«. Das Schimpfwort »Gelichter« findet sich auch in Schriften von Theodor Fritsch und Dietrich Eckart.

Vgl. Fritsch, Gott, S. 156; Eckart, Bolschewismus, S. 37; Grimm, Wörterbuch, Bd. 5, Sp. 3015 – 3018; Wagner, Werke, Bd. 10/I, S. 45 f.

Im Hochsommer des Jahres 1918 lag dumpfe Schwüle über der Front. Die Heimat stritt sich. Um was? Man erzählte sich vieles in den einzelnen Truppenteilen des Feldheeres. Der Krieg wäre nun aussichtslos, und nur Narren könnten noch an den Sieg glauben. Das Volk besäße kein Interesse mehr am weiteren Aushalten, sondern nur mehr das Kapital und die Monarchie – dies kam aus der Heimat und wurde auch an der Front besprochen.

Sie reagierte zunächst nur sehr wenig darauf. Was ging uns das allgemeine Wahlrecht an?64 Hatten wir etwa deshalb# 1944: deshalb ersetzt durch: deswegen vier Jahre lang gekämpft? Es war dies# 1930: gestrichen: dies ein niederträchtiger Banditenstreich, auf solche Weise den toten Helden das Kriegsziel im Grabe noch zu stehlen. Nicht mit dem Rufe »Es lebe das allgemeine und geheime Wahlrecht# 1944: eingefügt: Ausrufezeichen « waren die jungen Regimenter einst in Flandern in den Tod gegangen, sondern mit dem Schreie# 1944: Schreie ersetzt durch: Schrei »Deutschland über alles in der Welt«65. Ein kleiner aber doch nicht ganz unbedeutender Unterschied. Die aber nach dem Wahlrecht riefen, waren zum größten Teil nicht dort gewesen, wo sie dieses nun erkämpfen wollten.66 Die Front kannte das ganze politische Parteipack nicht. Man sah die Herren Parlamentarier nur zu einem Bruchteil dort, wo die anständigen Deutschen sich damals aufhielten# 1930: gestrichen: sich damals aufhielten , soferne# 1930: soferne ersetzt durch: wenn sie nur gerade Glieder besaßen# 1930: eingefügt: , sich damals aufhielten .

Die# 1930: Die ersetzt durch: So war denn die Front in ihren alten Beständen war denn auch# 1930: gestrichen: war denn auch gegen# 1926: gegen ersetzt durch: für dieses neue Kriegsziel der Herren Ebert, Scheidemann, Barth, Liebknecht usw. nur sehr wenig empfänglich. Man verstand auch# 1930: gestrichen: auch gar nicht, wie nun# 1930: wie nun ersetzt durch: warum auf einmal die# 1944: gestrichen: die Drückeberger das Recht besitzen konnten, über das Heer hinweg sich die Herrschaft im Staate anzumaßen.67

Meine persönliche Einstellung dazu# 1930: gestrichen: dazu war von Anfang an fest: Ich haßte das ganze Pack dieser elenden volksbetrügerischen Parteilumpen auf das äußerste. Ich war mir längst darüber im klaren, daß es sich bei diesem Gelichter68 wahrlich nicht um das Wohl der Nation handelte, als vielmehr# 1930: als vielmehr ersetzt durch: sondern um die Füllung leerer Taschen. Daß# 1930: Daß ersetzt durch: Und daß sie aber# 1930: gestrichen: aber jetzt schon# 1930: schon ersetzt durch: selbst bereit waren, dafür das ganze Volk zu opfern und wenn nötig Deutschland zugrunde gehen zu lassen, machte sie in meinen Augen nur# 1930: gestrichen: nur reif zum# 1930: zum ersetzt durch: für den Strick. Auf ihre Wünsche Rücksicht nehmen, hieß dann# 1930: gestrichen: dann die Interessen des arbeitenden Volkes