Wie viele meiner vorsätzlichen Anschauungen wurden aber durch eine solche Änderung meiner Stellungnahme zur christlich-sozialen Bewegung umgeworfen!

Wenn dadurch nun# 1926: gestrichen: nun langsam auch meine Ansichten in bezug auf den Antisemitismus dem Wechsel der Zeit unterlagen, dann war dies wohl meine schwerste Wandlung überhaupt.

Sie hat mir# 1944: mir ersetzt durch: mich die meisten inneren seelischen Kämpfe gekostet, und erst nach monatelangem Ringen zwischen Verstand und Gefühl begann der Sieg sich auf die Seite des Verstandes zu schlagen. Zwei Jahre später war das Gefühl dem Verstande gefolgt, um von nun an dessen treuester Wächter und Warner zu sein.172

In der Zeit dieses bitteren Ringens zwischen seelischer Erziehung und kalter Vernunft hatte mir der Anschauungsunterricht# 1930: Anschauungsunterricht ersetzt durch: Anschauungsuntericht [sic!];
1933: Anschauungsunterricht
der Wiener Straße unschätzbare Dienste geleistet. Es kam die Zeit, da ich nicht mehr wie in den ersten Tagen blind durch die mächtige Stadt wandelte, sondern mit offenem Auge außer den Bauten auch die Menschen besah.

Als ich einmal so durch die innere Stadt strich, stieß ich plötzlich auf eine Erscheinung in langem Kaftan mit schwarzen Locken.173

Ist dies auch ein Jude? war mein erster Gedanke.

So sahen sie freilich in Linz nicht aus. Ich beobachtete den Mann verstohlen und vorsichtig, allein je länger ich in dieses fremde Gesicht starrte und forschend Zug um Zug prüfte, um so mehr verdrehte# 1930: verdrehte ersetzt durch: wandelte sich in meinem Gehirn die erste Frage zu einer anderen Fassung# 1944: Fassung ersetzt durch: Frage :

Ist dies auch ein Deutscher?

Wie immer in solchen Fällen begann ich nun zu versuchen, mir die Zweifel durch Bücher zu beheben. Ich kaufte mir damals um wenige Heller die ersten antisemitischen Broschüren meines Lebens. Sie gingen leider nur alle von dem Standpunkt aus, daß im Prinzip der Leser wohl schon die Judenfrage bis zu einem gewissen Grade mindestens kenne oder gar begreife. Endlich war die Tonart mei­stens so, daß mir wieder Zweifel kamen infolge der zum Teil so flachen und außerordentlich unwissenschaftlichen Beweisführung für die Behauptung.174